nomi graphic novel

Vorwort zu »Nomi – Die Harmonie des Widerspruchs«

Es gibt Menschen, für die scheint die Welt zu klein zu sein. Oder zumindest unsere Gesellschaft. Sie neigt dazu, jede und jeden zu kategorisieren und einen Platz oder eine gewisse Anzahl an möglichen Plätzen zuzuweisen, aus denen gewählt werden kann. Aber es gibt Menschen, die wollen nicht wählen. Sie wehren sich dagegen, kategorisiert und in Schubladen gesteckt zu werden – eine Disziplin, in der es der Ausnahmesänger Klaus Sperber, später Nomi, weit gebracht hat. Und genau deshalb ist es äußerst inspirierend, sich mit ihm, seinem Leben und seiner Musik zu beschäftigen.

Er war seiner Zeit voraus – so weit, dass es vielen damals so vorkam, als käme Nomi von einem anderen Planeten. Sein Auftreten, seine ganze Art, sein Wesen waren in gewisser Weise nicht von dieser Welt, in die er, in den Wirren des Zweiten Weltkrieges, hineingeworfen wurde.

Doch wenn schon in dieser Welt, dann ganz oben. So hatte vor ihm auch schon David Bowie gedacht, der, als Ziggy Stardust, ebenso wenig in diese Welt zu passen schien und Klaus Sperber den entscheidenden Stups gab, in sein kurzes Leben als Star. Und es war gewiss kein einfacher Weg von Immenstadt im Allgäu über Essen und Berlin nach Paris und New York. Was Klaus Sperber auf diesem steinigen Weg geholfen hat, war sein unbeirrbares Vertrauen darauf, dass er es irgendwann schaffen würde. Dieser unerschütterliche Glauben an sich selbst und die Notwendigkeit, genau diesen Weg zu gehen, den wohl niemand außer ihm würde gehen können, macht Nomi so faszinierend. Er konnte etwas, das nur er konnte und das musste zur Entfaltung kommen – wenn nicht jetzt, dann später. Dazu musste er die Dinge anders sehen, neu verknüpfen und scheinbar Widersprüchliches verbinden und vereinen.

Nomi wollte nie entweder-oder, sondern immer beides. Callas und Elvis, männlich und weiblich, exotisch und Mainstream und so weiter. Erfolgreich entzog er sich jedem Versuch, sich einkasteln, sich vereinnahmen zu lassen. Der (scheinbaren) Vielfalt der Möglichkeiten steht damals wie heute eine Tendenz zur Vereindeutigung entgegen, indem neue Kategorien geschaffen werden, in die dann alles wieder leicht einzuordnen ist. Dem stemmte er sich vehement entgegen. Eben deshalb hat er uns hier und heute mit seinem Leben und mit seiner Musik eine Menge zu sagen.
Besonders faszinierend finde ich, dass in der »Kunstfigur« Nomi genau dieses gelingt – die Verbindung der Gegensätze zu etwas vollkommen Neuem. Dieses Neue ist letztlich der authentische Ausdruck dessen, wer und was Klaus eigentlich ist, denn wenn er in keine Kategorie passt, muss es etwas geben, das sich nicht eindeutig zu- und einordnen lässt. Etwas, das die Grenzen auflöst zwischen gelebtem Leben, Schau-Spiel und Kunst.
Sein Anderssein zu leben, bedeutet aber immer auch, ein Stück weit in der Distanz zu bleiben, in Beziehungen, Freundschaften und Begegnungen. Es bedeutet, dass andere nur einen Teil des Ganzen sehen, erkennen und lieben können.

Klaus wollte wohl nichts weniger als alles und so ist der Name Nomi nicht nur von »Omni«, einem Wissenschafts- und Science-Fiction-Magazin hergeleitet, sondern eben auch ein Anagramm des lateinischen Wortes omni, was »ganz, jeder, alles« bedeutet. Und es kommt darin (NoMi = Know me) auch die Sehnsucht nach Anerkennung zum Ausdruck: Will they ever know me?
Mir scheint es in gewisser Weise ein Widerspruch in sich zu sein, zugleich ganz anders und nur man selbst zu sein und andererseits den Applaus der Menge zu brauchen. Es muss wohl doch ein Kompromiss gefunden werden zwischen Individualität und Anpassung. In Kunst und Literatur haben sich schon von jeher die Werke besonders schwergetan, die keiner bisher bekannten Kategorie angehörten. Es gab gleichermaßen Bewunderung wie Ablehnung.
Klaus Nomis Leben ist das Hinterfragen aller Zuordnungen und Eindeutigkeiten. Er stellte die Frage nach dem, wer oder was er ist, als Mensch wie als Künstler, besonders radikal. Ihm gelang, was uns heute so schwerfällt, Uneindeutigkeit und Ungenauigkeiten nicht als etwas zu Vermeidendes zu betrachten. Für ihn waren sie lebenserhaltende Prinzipien, die authentisches Leben überhaupt erst ermöglichen, und durch die sich neue und andere Möglichkeiten ergeben, in einer Welt zu leben, die einen so, wie man ist, nicht vorsieht.
Der Preis, die eigene Individualität zu leben und authentisch Ich zu sein, ist mitunter nach wie vor sehr hoch. Zugleich ist der Verlust der Vieldeutigkeit, nicht zuletzt gesamtgesellschaftlich gesehen, noch schlimmer. Ein paar Schubladen mehr bedeuten nicht mehr Vielfalt und mehr Individualität. Wie viele Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierungen müssen beispielsweise noch kategorisiert werden, bis wir es uns leichter machen und uns zugestehen, dass Gender und Sexualität Spektren sind, in denen wir uns frei bewegen können und dürfen. Wie viel »Kunstfigur« ist erforderlich, um ein authentisches Leben zu führen?

Klaus Nomi ist immer ein Außenseiter geblieben, vielleicht war er in gewisser Weise ein Außerirdischer. Bei vielen seiner Auftritte wirkte er so – wie verschiedene Zeitzeug:innen es immer wieder berichtet haben. Jedenfalls ist Klaus Nomi genauso einsam aus dieser Welt verschwunden, wie er hi­neingekommen ist. Was wir von ihm lernen können?
An sich selbst zu glauben, sich auch von widrigen Umständen nicht vom Ziel abbringen zu lassen und Geduld zu haben. Gelegenheiten, die sich bieten, sollten genutzt werden. Die eigene Seele zu verkaufen, bloß um dazuzugehören, macht nicht glücklich.
Wer anders ist, hat es nicht leicht, aber wer mehr will, muss anders sein.

In diesem Sinne wünsche ich viel Lesefreude und Inspiration.

Uwe Dinkhoff
(Lektorat)

Barbara Treskatis
Nomi
Die Harmonie des Widerspruchs
Eine Biografie
Softcover, 74 Seiten, 29,7 x 21 cm
ISBN: 978-3-942006-52-1
18,90 Euro [D]

Barbara Treskatis, Comic-Zeichnerin

Barbara Treskatis
geboren 1940 in Flatow. Ausbildung in freier Malerei und Grafik an der HDK Berlin und der Akademie, München, anschließend Ausbildung Kostümbild Meisterschule, Berlin. Erste Engagements in Bochum und Darmstadt, es folgten freie Arbeiten u.a. am Thalia Theater, Hamburg; Burgtheater, Wien; Schauspiel Frankfurt; Schiller Theater, Berlin; Schau-spiel Köln/Bonn; Oper und Schauspiel Zürich. Interessiert sich seit der Kindheit für Comics.

Daniel Aldridge im Gespräch mit Barbara Treskatis über die Graphic Novel »Nomi – Die Harmonie des Widerspruchs«.  Ein Ausschnitt aus der Sendung vom 19. August 2023 von Rainbow City Radio.

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